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[Lesezeit: ca. 4 Min.]

Wir kennen sowohl Projektmanagement als auch Systeme, aber was bedeutet es eigentlich, wenn man beides zusammenbringt und welche Werkzeuge bieten sich an, Projekte systemisch zu steuern?

Bevor ich auf diese Fragen eingehe, möchte ich kurz einräumen, dass bei meinen Projekten anfänglich die fachliche Ebene und die Prozessebene im Vordergrund standen. Insbesondere in der recht hemdsärmeligen Logistikbranche war nach meiner Erfahrung immer nur recht wenig Raum für die Berücksichtigung von „Soft Facts“.

Erst im Zuge der stetig zunehmenden Komplexität und Dynamik von Projekten – insbesondere bei umfangreichen Transformationsinitiativen – sind auch soziale und zwischenmenschliche Ebenen stärker berücksichtigt worden. Und genau darum geht es bei dem systemischen Ansatz.

Im Systemische Projektmanagement werden somit die Methoden des klassischen Projektmanagements mit Werkzeugen der Systemdiagnose und der systemischen Intervention angereichert, um alle relevanten Ebenen im Projektmanagement zu berücksichtigen.

Hierzu dient u. a. die Beantwortung der folgenden Fragen:

  • Welche Faktoren können das Projekt fördern, behindern oder gar zum Scheitern bringen?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, um im sozialen Umfeld und bei den Projektbeteiligten die Akzeptanz für das Projekt zu erhöhen und positive Faktoren zu verstärken?
  • Was sind mögliche Auswirkungen von geplanten Maßnahmen?

Systemisches Projektmanagement bietet eine hohe Flexibilität und eine umfassendere Sichtweise, um alle Arten von Projekten abwickeln zu können. Insbesondere ist es für Projekte geeignet, die umfangreiche Veränderungen im Unternehmen zum Ziel haben.

Aber was bedeutet all dies für den/die Projektleiter(in)? Er/sie muss ggf. den Werkzeugkasten erweitern und Know-how aufbauen für Themen wie:

  • Aktives Stakeholder Management
  • Umgang und Beherrschung von Macht und Machtmitteln
  • Erkennen, Ziehen und selbstständiges Setzen von Grenzen
  • Schaffung eines gemeinsamen Bezugsrahmens („Projektvision“)
  • Einführung und Gestaltung von sozialen Regeln
  • Früherkennung und Auflösung von Konflikten

Im Folgenden werden exemplarisch drei Tools vorgestellt, die in unterschiedlichen Phasen des Projektes eingesetzt werden können. Alle diese Tools können auch online angewendet werden, bspw. in Sessions mit MS TEAMS. Es müssen dann lediglich die Arbeitsutensilien etwas angepasst bzw. digitale Instrumente eingesetzt werden (bspw. Online-Whiteboard anstatt eines klassischen Whiteboards). Der jeweilige Prozess bleibt derselbe. Der Einfachheit halber wird in diesem Artikel jedoch ausschließlich der konventionelle Einsatz beschrieben:

Team Check *

Diese Methode schafft die Plattform für einen transparenten und vertrauensvollen Austausch der Teammitglieder über ihre Erwartungen, Gedanken und Bedenken. Der Projektleiter erhält durch einen Perspektivwechsel wertvolle Informationen, wie sein Team gerade „tickt“ und welche Maßnahmen ggf. ergriffen werden müssen, um das Projekt auf Kurs zu halten.
Es bietet sich an, den Team Check nicht nur beim Projektstart einzusetzen, sondern regelmäßig in allen darauf folgenden Phasen des Projektes.

Zum Ablauf:

Der Projektleiter bereitet Fragen vor und visualisiert diese entsprechend auf bspw. Flipcharts oder Whiteboards. Fragebeispiele für einen Kick-off könnten sein:

  • Was sind eure grundsätzlichen Gedanken bei dem Projekt?
  • Welche Stolpersteine seht ihr auf dem Weg?
  • Was benötigt ihr für eine erfolgreiche Projektarbeit?

Diese Fragen können – ggf. etwas abgewandelt – in den weiteren Projektphasen (bspw. am Ende von Workshops) wiederholt werden. Evtl. ergänzt um die Frage, was eine bestimmte Maßnahme gebracht hat.

Wichtig hierbei ist es, dass jeder die Möglichkeit erhalten muss (und diese auch wahrnehmen sollte), frei seine Meinung zu äußern und diese auch vertraulich behandelt wird. Zudem darf auf Statements nicht geantwortet bzw. dürfen diese nicht kommentiert werden. Lediglich Verständnisfragen sind erlaubt. Die Beiträge werden vom Projektleiter festgehalten, um im Nachgang entsprechende Maßnahmen unter Einbindung des Teams abzuleiten und umzusetzen.

Die Einführung dieser Feedback-Methode ist technisch nicht besonders anspruchsvoll. Die Herausforderung liegt eher im zwischenmenschlichen Bereich, denn bei der erstmaligen Anwendung empfinden viele Projektmitglieder oftmals ein gewisses Unbehagen, Persönliches offen preiszugeben. Hier ist der Projektleiter gefordert, ein Klima des Vertrauens aufzubauen und zu kultivieren.

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Paradoxe Intervention *

… oder „Wie können wir das Projekt zuverlässig vor die Wand fahren?“

Auch bei diesem Tool findet ein Perspektivwechsel statt. Mit dem Ziel, Lösungsideen zu finden, indem die Antworten auf die Frage ins Gegenteil umformuliert werden. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt darin, dass durch die Umkehrung der Fragestellung oftmals völlig unerwartete Lösungsansätze gefunden werden.

Der Einsatz dieser Methode wird auch empfohlen, um dem Projekt skeptisch gegenüberstehende Stakeholder abzuholen, da ihre Vorbehalte sich i.d.R. relativeren. Zudem wird in der Intervention oftmals deutlich, dass die Risiken nicht wirklich im Projekt liegen, sondern den eigenen negativen Glaubenssätzen und persönlichen Ängsten entspringen.

Zum Einsatz kommt dieses Tool bei der Initialisierung des Projekts bzw. im Rahmen der Risikoanalyse.

Die Durchführung der Intervention dauert ca. 45-60 Minuten und erfolgt in sieben Schritten:

  1. Im Brainstorming werden die Antworten auf die Frage, was das Projekt definitiv zum Scheitern bringen wird, von den Teilnehmern in Stichworten auf Kärtchen geschrieben. Kreatives Fantasieren und Übertreibungen sollten hier ausdrücklich erlaubt sein!
  2. Jeder Teilnehmer stellt seine Kärtchen vor und befestigt diese an die Pinwand.
  3. Gruppierung der Kärtchen durch den Moderator.
  4. Vergabe von Punkten von jedem Teilnehmer für die drei relevantesten Kärtchen.
  5. Offene Feedbackrunde zum Resultat und gemeinsames Review des Rankings. Ggf. Anpassung.
  6. Brainstorming in der Gruppe (ggf. in Teilgruppen), was jeder Einzelne in seinem Verantwortungsbereich tun kann, um die drei definierten Misserfolgsfaktoren zu Erfolgsfaktoren umzuwandeln.
  7. Erstellung eines gemeinsamen Aktionsplans mit abgeleiteten Maßnahmen, Verantwortlichkeiten und entsprechenden Zeitleisten.

Dieses Tool eignet sich bei Projekten mit großer Unsicherheit wie bspw. bei Transformationen und/oder wo die Meinungen der Initiatoren des Projektes im Hinblick auf Risiken und Hindernisse weit auseinander gehen.

02

Zeitungsartikel *

Bei dieser Intervention erstellt das Team einen fiktiven Zeitungsartikel über das Projekt unter der Annahme, dass es bereits erfolgreich abgeschlossen wurde. Durch diese Visualisierungsarbeit wird der Teamgeist gestärkt, die Motivation im Team erhöht und eine gemeinsame Zielvorstellung manifestiert.

Die Übung kann bereits während der Initialisierungsphase durchgeführt werden, um eine gemeinsame Vision zu erzeugen. Spätestens jedoch zu Beginn der Projektsteuerung nach erfolgter Planungsphase.

In einer 1-2stündigen Session (abhängig von der Anzahl der Teilprojekte und Teilnehmer) werden Arbeitsgruppen von nicht mehr als fünf Teilnehmern gebildet und wie folgt verfahren:

  1. Einführung der Intervention durch den Moderator. Es soll hierbei auch gemeinsam überlegt werden, in welcher Zeitung/Zeitschrift der Artikel veröffentlicht werden könnte.
  2. Gemeinsame Formulierung der Überschrift durch die jeweilige Arbeitsgruppe.
  3. Entwurf einzelner Veröffentlichungssätze durch jeden Teilnehmer und Festhalten auf Karten/Zetteln. Die Teilnehmer sollten hierbei auch ermutigt werden, ruhig etwas zu übertreiben.
  4. Ausschneiden von dazu passenden Bildern aus diversen Zeitschriften, die jeder Arbeitsgruppe zur Verfügung gestellt werden.
  5. Nutzung einer Pinwand, an der die ausformulierten Sätze samt Bildern von jedem Teilnehmer befestigt werden.
  6. Finalisierung des Artikels in der Gruppe, indem die individuellen Sätze in eine logische Reihenfolge gebracht werden und das Ergebnis gemeinsam betrachtet wird.
  7. Gegenseitige Vorstellung der Gruppenergebnisse, falls mehrere Arbeitsgruppen gebildet wurden.
  8. Festhalten etwaiger Fragen/Kommentare auf einem gemeinsamen Flipchart.
  9. Abschließende Reflexion im großen Kreis, die der Moderator bspw. anstoßen könnte mit der Frage, was die Teilnehmer empfinden bei Ansicht der generierten Artikel.

Ein Pendant zu dieser Intervention ist die Übung Lessons learned als Reisebericht *, die zum Abschluss eines Projektes durchgeführt werden kann. Auf ähnlich spielerische Art und Weise wird hier das Projekt als imaginäre Reise dargestellt, bei der die Teammitglieder ihre Assoziationen zum Projekt mit allen durchlebten Höhen und Tiefen zu Papier bringen dürfen.

Wie diese Intervention im Detail durchgeführt wird und welche weiteren systemischen Interventionen sich im Projektmanagement anbieten, erläutere ich Ihnen gerne in einem persönlichen Austausch. Sollten Sie darüber hinaus Interesse an einer Zusammenarbeit im Rahmen eines projektbegleitenden Coachings Ihrer Teams haben, stehe ich Ihnen auch gerne für weiterführende Gespräche zur Verfügung.

* Quelle: „Systemische Werkzeuge für erfolgreiches Projektmanagement“ von Simone Gehr, Joanne Huang, Michael Boxheimer, Sonja Armatowski; Springer Gabler Verlag, 2018

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